Kuratierte Küche
Auf einer Küchenparty – wo sonst!? – erfährt unser Kolumnist, dass Küchen längst nicht mehr zum Kochen da sind. Sie sind vielmehr Ausdruck unseres Möchtegern-Ichs.
Text: Lenz Koppelstätter
„Waaaas? Du hast dich für den Küchenkauf ganz spontan entschieden?“. Die Partygesellschaft, die sich – natürlich in der Küche! – um mich versammelt hatte, schaute mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid an. So als ob Spontaneität der Kardinalsfehler beim Küchenkauf ist.
Mein Hirn raste, es dachte darüber nach, was a einem Spontankauf so schlimm sein konnte, ich wollte mich ja nicht zum Deppen machen. „Äh, na ja“, log ich alsbald relativierend, „relativ spontan, hab schon eine Nach … äh … noch einen Monat lang drüber geschlafen. Ist ja klar.“ „Ah, drüber geschlafen!“ Um mich atmete alles auf. Ich schnappte mir noch ein Feige-Gorgonzola-Balsamico-Canapé.
Küchen sind längst nicht mehr nur Essenszubereitungsräumlichkeiten. Küchen drücken unsere Persönlichkeit aus. Wir stellen unser Küchenleben auf Instagram zur Schau. Wer hat die coolsten Küchenfronten? Wer hat den größeren Thermomix? Ich hab’ den größten!
„Ein paar Tage drüber schlafen, klar, kann man machen“, sagte der Partygastgeber, „ich habe mir meine Küche jedoch individuell kuratieren lassen.“ Er sagte tatsächlich „kuratieren“! „Von meinem Persönlichkeits-Coach“, fuhr er fort, „nur Persönlichkeits-Coach weiß, welche Küche sich in meine Personality einfügt. Er sagte tatsächlich „Personality“! „Marmor aus Südtirol“, dozierte er weiter und pochte auf die Platte des Herdmonolithen, „das passt so gut zu meinem gesunden Selbstbewusstsein. Die Farbe der Fronten, mein ganz eigenes Rostbraun. Von einem New Yorker Farbforscher für mich erfunden. Sie passen gut zu meinen grün-grauen Augen, nicht wahr?“ Er drehte sich einmal um sich selbst, sprach mit glänzenden Augen weiter: „Mein Garkocher ist etwas aufgepimpt. Mit Flow-Channel-Luftleitsystem, Kerntemperaturfühler, sensible Impulsventilatoren, 2.0-Pflegeintelligenz, 1.500 Display-Speicherplätze. Das entspricht meinem Lebensmotto: Less is not more! More is more!“
Einst war die Küche Mittel zum Zweck. Heute ist die Küche Spiegelbild des Selbstverständnisses. Über das Zusammenspiel von Küchentypen und Menschentypen könnten Soziologie-Dissertationen verfasst werden: Welche Küche bin ich und wenn ja, warum? Weshalb entscheidet sich der gemütliche Mittelstands-Hidden-Champion für die geschwungenen Formen, rustikales Design und vordergründiges Schnickschnack? Weshalb nimmt der akademische Großstadtasket die schwarze Variante, minimalistisch, eckig, monolithisch, die üppigen Extras raffiniert versteckt? Die Küche als Ausdruck unseres innersten Möchtegern-Ichs. Zeig mir deine Küche – und ich sehe, wer du – na ja – zumindest sein möchtest. Was dabei vergessen wird: Die bleibt für lange Zeit. Sie ist nicht austauschbar, wie etwa die Frisur. Doch das Leben windet und wendet sich: der Marmorfan verliebt sich in die Holzfetischistin, die Liebhaberin offener Regale schlägt sich bald mit zwei Chaoskindern herum. Das Leben kann auf so süße Art so gemein sein.
In der Partyküche wurde weiter über Küchen-Personality gefachsimpelt. Nur ich fragte mich: Wie hat es der Herr Gastgeber geschafft, dass seine Museumsküche samt Megagarer blitzblank geputzt ist, wo er doch so viele herrliche Köstlichkeiten aufgetischt hat. Der Weg zur Toilette schenkte mir Erkenntnis, Ich irrte mich zunächst in der Tür und landete in der Rumpelkammer, wo sich Lieferservice-Kartons stapelten.
Zeichnung für AW / Architektur & Wohnen -Magazin.
âœï¸ Zeichnung für AW / Architektur & Wohnen -Magazin. Spezial Heft Küche. Ausgabe 2/2019 März-April.